Ankum, Melle & andernorts: Viele Festivitäten im Landkreis Osnabrück zum 50. Jahrestag der Gebietsreform von 1972 – gegen die es damals viel Widerstand gab. Mitgefeiert hat auch Matthias Pietsch, der als Jugendlicher in Melle Großdemos gegen die geplanten Veränderungen erlebte.

„Hütte rockte, ein großes Familienfest am Baumwipfelpfad in Bad Iburg, Showeinlagen, Ballet, Gesang und Sketche in Melle, eine Fahrrad-Sternfahrt aus allen Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinde Bersenbrück zu einer Feiersause im Herzen von Ankum: Das sind nur einige Beispiele für die zahlreichen Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Landkreises Osnabrück und der neu zugeschnittenen Kommunen, die 1972 aus der Taufe gehoben wurden. Die Veränderungen, die die Gebietsreform mit sich brachte, waren gewaltig.

Statt 261 Gemeinden nur noch 34 Gemeinden.
1961 gab es in den vier alten Landkreisen noch 261 Gemeinden: 95 im Altkreis Bersenbrück, 56 im Altkreis Melle, 31 im Altkreis Wittlage und 79 im Altkreis Osnabrück. Im Zuge der Gebietsreform kamen acht dieser Gemeinden zur Stadt Osnabrück. Die übrigen wurden zu 34 Einheitsgemeinden zusammengefasst, davon 17 im Nordkreis zu den Samtgemeinden Artland, Bersenbrück, Fürstenau und Neuenkirchen. Die Gemeinden des Altkreises Melle wurden zur Stadt Melle. Im Altkreis Wittlage entstanden die heutigen Gemeinden Bad Essen, Bohmte und Ostercappeln.

Ich bin in Melle zu Hause und meine beiden UWG-Kreistagskollegen Detert Brummer-Bange und Sebastian Gottlöber leben in Ankum bzw. Glandorf. Melle, Ankum, Glandorf: Diese drei Gemeinden stehen beispielhaft für die unterschiedliche Betroffenheit durch die Gebietsreform – und für Gegenwehr, die in einem Fall sogar erfolgreich und in Ankum über viele Jahre besonders heftig war (mehr dazu weiter unten).

Beispiel Melle: Ein kompletter Landkreis wird zu einer Stadt.
Besonders umwälzend wirkte sich der damalige kommunale Umbau in Melle aus, denn hier kam es zu dem niedersachsenweit einmaligen Fall, dass ein kompletter Landkreis, bestehend aus 56 Einzelgemeinden, zu einer Stadt wurde – zur „neuen“ Stadt Melle mit acht Stadtteilen. Entstanden ist dadurch die flächenmäßig drittgrößte Stadt Niedersachsens. Der Weg zu dieser Lösung war jedoch steinig.

Ich kann mich an Großdemonstrationen in Melle erinnern, an denen etliche meiner damaligen Klassenkameraden teilgenommen hatten. Zwar konnten viele Meller verstehen, dass die enormen Herausforderungen eines Landkreises nur von größeren Organisationseinheiten zu bewältigen waren – der Landkreis Melle war der kleinste Kreis Niedersachsens – , doch die Aufgabe der Eigenständigkeit schmerzte.

Skuriles und „schwarze“ Gemeinden, die sich nicht grün waren.
So zog man z.B. in Melles Osten in Erwägung, sich dem westfälischen Rödinghausen anzuschließen. Ob dabei die Aussicht auf zwei zusätzliche Feiertage eine Rolle spielte, sei dahingestellt. Am Ende wurden die östlichen Meller Gemeinden zum Stadtteil Bruchmühlen zusammengefasst. Es bleibt also weiterhin bei der skurrilen Situation, dass in Bruchmühlen an Fronleichnam und Allerheiligen auf der westfälischen Straßenseite die Geschäfte geschlossen sind, während im niedersächsischen Meller Stadtteil Bruchmühlen alles geöffnet ist.

Aber auch im Westen des Landkreises Melle gab es Ärger. Ausgerechnet die beiden „schwarzen“ Meller Stadtteile Gesmold und Wellingholzhausen waren sich seit jeher nicht grün, so dass ein Zusammenschluss als Teil einer gemeinsam Stadt Melle auf Widerstände stieß. So dachte man in Wellingholzhausen ernsthaft daran, sich eventuell dem benachbarten Borgloh bzw. Hilter anzuschließen.

Kommunale Identität per MEL, BSB, WTL.
Letztendlich aber wurde die Reform vollzogen, Melle ist nun eine (Groß-) Stadt und hat seit 2018 ein kleines Stück kommunale Identität wiedererlangt, indem das alte Landkreiskennzeichen MEL wieder verfügbar ist – übrigens aufgrund meines Antrages im Osnabrücker Kreistag, ebenso umgesetzt für die Altkreise Bersenbrück BSB und Wittlage WTL. Dass sich „schwarze“ sprich CDU-regierte Gemeinden nicht grün sind, gab es nicht nur in Melle.

Beispiel Ankum: Heftiges Ringen um einen Ausstieg aus der Samtgemeinde Bersenbrück.
Ein besonderer Konfliktherd war die Samtgemeinde Bersenbrück, in der die CDU in allen Orten wie auch in der Samtgemeinde regierte. Vor heftigen Auseinandersetzungen schützte das nicht. Der Grund dafür: Ankum wollte nicht akzeptieren, einer der sieben Orte dieser 1972 gegründeten Samtgemeinde zu sein. Ankum und Bersenbrück in einer Samtgemeinde – dagegen regte sich über Jahre heftiger Widerstand. Ankum wollte raus aus der Samtgemeinde Bersenbrück.

Der Grund dafür: Aus Ankumer Sicht wurde die Entwicklung der Stadt Bersenbrück über weite Strecken intensiver durch die Samtgemeinde unterstützt als die Entwicklung Ankums. 1982, 1983 und 1987 fasste dann der Ankumer Gemeinderat einstimmige Beschlüsse, die Selbständigkeit Ankums und das Ausscheiden aus der Samtgemeinde Bersenbrück anzustreben. Zu den Ankumer Vorstellungen gehörte, mit den umliegenden Gemeinden Eggermühlen und Kettenkamp eine Einheitsgemeinde oder aber eine weitere Samtgemeinde zu bilden.

Unzufriedenheit, Enttäuschung, neuer Zündstoff.
1989 war klar, dass Ankum in der Samtgemeinde Bersenbrück bleiben muss. Ein Jahr später scheiterte Ankum dann auch mit einem Antrag, die Samtgemeinde umzubenennen in Samtgemeinde Bersenbrück-Ankum. Dauerhafte Ruhe kehrte nach den scharfen Auseinandersetzungen in den 1980-er Jahren aber nicht ein.

„Der Name Ankum wird nicht von der Landkarte verschwinden“.
Nach den noch lange nicht verschmerzten Enttäuschungen der Jahre bis 1990 sorgte ab 2008 ein Vorstoß zu einer Zusammenlegung von Ankum und Bersenbrück zu einer Einheitsgemeinde für explosiven Zündstoff. Betrieben wurde dieser Vorstoß vor allem von Reinhold Coenen (CDU), der zehn Jahre lang (bis 2001) Samtgemeindebürgermeister war und danach bis 2006 Bürgermeister von Ankum.
Führten die vorherigen Konflikte schon zu Zerreissproben in der CDU, so kam es bei den Auseinandersetzungen zum Thema Einheitsgemeinde Ankum-Bersenbrück zu regelrechten Zerfleischungsprozessen.

Der Plan, Ankum mit Bersenbrück zu fusionieren, scheiterte – und er läutete das Ende der CDU als dominierender politischer Kraft in Ankum ein. Bei der Wahl 2011 errang die neu gegründete UWG mit 51,01 % einen Sensationserfolg. Für die CDU ging es im Sturzflug runter von zuvor 75,54% auf 30,38 %. Seitdem hat Ankum eine UWG-Ratsmehrheit und einen UWG-Bürgermeister. 10 Jahre lang übte mein Kreistagskollege Detert Brummer-Bange dieses Amt aus.

Beispiel Glandorf: Dort konnte man ein „Freiheitsfest feiern“.
Zu den wenigen Gemeinden, die Veränderungen erreichen konnten, gehört Glandorf. Am 1. Juli 1972 wurde Glandorf in die Gemeinde Laer (ab 1975 Bad Laer) eingegliedert. Am 1. Mai 1981 dann die Wende: Glandorf erhielt seine Selbständigkeit zurück und feierte ein ,Freiheitsfest‘. Im letzten Jahr lang dieser Glandorfer Freudentag 40 Jahre zurück.

Erst 2019 die erste Frau an der Spitze des Landkreises.
Zur 50-Jahr-Feier des Landkreises sagte am 1. Juli Landrätin Anna Kebschull: „Es ist richtig und wichtig, so ein Jubiläum zu begehen und damit auch die zurückliegenden fünf Jahrzehnte, die herausragenden Leistungen und Persönlichkeiten zu würdigen.“ Die zurückliegenden Landkreis-Jahrzehnte waren, was die Spitzenämter angeht, von Männern geprägt.

Mit Anna Kebschull, geboren 1973 und damit ein Jahr nach der Gebietsreform, schaffte es 2019 erstmals eine Frau an die Spitze des Landkreises. Der Wahlsieg der Kandidatin von Bündnis90/Die Grünen erregte sogar bundesweit Aufsehen. So titelte die FAZ im Juni 2019: „Sieg über CDU-Vormacht: Erste grüne Landrätin in Osnabrück“. Uns Kreistagsmitglieder hat seit Anfang September der politische Alltag wieder, denn in diesem Monat reiht sich eine Ausschusssitzung an die andere. Da wird es demnächst sicher wieder einiges zu aktuellen Themen zu berichten geben.