In scheinbar unversöhnlichen Zeiten begehen Jüdinnen und Juden Jom Kippur. Dieser Versöhnungstag, der Tag der Buße und Umkehr, ist der höchste jüdische Feiertag. Er könnte gerade in diesen so sehr von Hass, Gewalt und Kriegen geprägten Zeiten eine Inspiration für uns alle sein.
Zum guten Miteinander gehört, sich kennenzulernen. Um dieses Ziel zu unterstützen, stellen wir als UWG-Kreistagsfraktion in loser Reihenfolge jüdische und muslimische Feiertage vor. Erschienen sind bereits Berichte zum Ramadan und dem Jüdischen Lichterfest (siehe 1). Thema dieses Berichts ist der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur. Ihm kommt in diesem Jahr gleich aus mehreren Gründen eine besondere Bedeutung zu.
Inmitten scheinbar unversöhnlicher Zeiten: Das Versöhnungsfest.
Jom Kippur, das ist der Tag des Fastens, der Stille, der Versöhnung, an dem das gesamte öffentliche Leben in Israel traditionell zum Stillstand kommt. Jom Kippur wird zehn Tage nach dem jüdischen Neujahrsfest begangen und fällt in diesem Jahr auf den 11. und 12. Oktober. Versöhnung: Könnte es einen größeren Kontrast geben zwischen diesem Wort und der seit mehr als einem Jahr nicht enden wollenden terroristischen und kriegerischen Gewalt- und Hass-Realität im Nahen Osten?
Seit dem grauenvollen Massaker von Hamas-Terroristen in Israel am 7. Oktober letzten Jahres, bei dem 1.200 Menschen ermordet und 230 Menschen als Geiseln nach Gaza entführt wurden, ist kaum ein Nachrichten-Tag vergangen ohne schreckliche und erschreckende Bilder aus der Region. Und jetzt, inmitten dieser scheinbar unversöhnlichen Zeiten, das Versöhnungsfest Jom Kippur.
„Uns besinnen auf den Willen zur Menschlichkeit und den Wunsch auf ein friedliches Zusammenleben auf dieser Erde.“
Jom Kippur beendet eine 10-tägige Buß- und Reuezeit, die mit dem Neujahrsfest Rosch Haschana begann. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, stellt aus Anlass der diesjährigen Oktober-Feiertage die Fragen: „Ist es möglich, auf dieses Jahr zurückzublicken, ohne zu verzweifeln? Was braucht es in einer Welt, die so gespalten ist durch Angst und Hass wie zu kaum einem Zeitpunkt seit dem Zweiten Weltkrieg?“ Seine Antwort: „Zum ersten jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana seit dem barbarischen Hamas-Terror des 7. Oktober müssen wir uns besinnen auf die Kraft des Glaubens, auf den Willen zur Menschlichkeit und den Wunsch auf ein friedliches Zusammenleben auf dieser Erde“ (Quelle: siehe 2).
„Gut handeln und das Gute in die Welt bringen“.
In der Jüdischen Allgemeinen erklärte der Rabbiner Avichai Apel am Beispiel des Kol-Nidre-Gebets zu Beginn von Jom Kippur, worum es an diesem Versöhnungstag geht. „Dem Gerechten“, sagt er, „muss das Licht immer wieder aufgehen“. Und weiter: „Was ist unser Ziel? Warum müssen wir eigentlich in den nächsten 24 Stunden fasten? Was wird uns anspornen, Teschuwa zu machen und vor G’tt unsere Missetaten und Irrtümer des vorherigen Jahres zu beichten?“. Seine lange Antwort auf einen kurzen Nenner gebracht: Es geht im Kern darum, „gut zu handeln und das Gute in die Welt zu bringen“. Quelle: siehe 3.
Seit Neujahr hatte man vor Jom Kippur Zeit, ein besserer Mensch zu werden, sich mit Gott zu versöhnen. Vorausgehen muss der Versöhnung mit Gott jedoch die Versöhnung mit seinen Mitmenschen. Und das heißt: Seine Mitmenschen um Verzeihung bitten für alles, was im letzten Jahr vorgefallen ist.
Brandbeschleuniger neue Medien und deren Algorithmen. Beispiel Instagram „Du bist dran“.
Beim Nachdenken über den Sinn von Jom Kippur drängt sich ein Gedanke geradezu auf: Wieviel Schlechtes käme gar nicht erst in die Welt, gäbe es auch nur einen einzigen Tag ohne die neuen Medien wie X, Twitter, Youtube, Instagram oder Telegram. Sie sind die bevorzugten Kanäle für Hass, Hetze und Desinformation. Dass deren Algorithmen gezielt als Brandbeschleuniger wirken und wirken dürfen, ist ein drängendes aber weiterhin ungelöstes Problem. Beispiel Instagram: Da ist „Du bist dran“ eine auf maximale Weiterverbreitung optimierte Funktion – über die sich auch politische Hass- und Hetzbotschaften wie ein Lauffeuer verbreiten.
Zu Jom Kippur sei vor allem daran erinnert, wie sehr Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem 7. Oktober letzten Jahres in Angst vor Anfeindungen und Angriffen leben. Die Zeit bringt es auf den Nenner: „Antisemitismus, also pauschale Abneigung und Hass gegen Juden, findet sich in allen Teilen der Gesellschaft. Er erscheint als Clownsbild mit der Bemerkung ,Gas the Jews‘ im Klassenchat, als Rauswurf aus dem Taxi wegen einer Kippa oder als Hakenkreuz auf einem Stolperstein“ (siehe 7).
Es gibt keinerlei Rechtfertigung für Antisemitismus.
Bei aller Berechtigung, die Kontroversen in einer Demokratie haben, so auch zur Politik und Kriegsführung der israelischen Regierung: Es gibt keinerlei Rechtfertigung für Antisemitismus. Wohin er führt, wissen wir nur zu gut. Judenhass hat über Jahrhunderte zu Judenverfolgungen geführt, zu Progromen und schließlich zum deutschen Menschheitsverbrechen Holocaust mit um die 6 Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden.
Extremismus: Die Quelle für Unversöhnlichkeit und Gewalt.
Es gibt keine Versöhnung und keinen Frieden, wo allein Hass und der Vernichtungswille regieren, Israel von der Landkarte streichen zu wollen – wie bei der Hamas in Gaza, der Hisbollah im Libanon, wie im Iran. Auf israelischer Seite ist es ultraorthodoxer jüdischer Extremismus, u.a. in Gestalt des Regierungsmitglieds Itamar Ben-Gvir, der Unversöhnlichkeit, Gewalt und die Vertreibung von Palästinensern propagiert und forciert.
Zu Jom Kippur, dem Versöhnungstag, sei auch daran erinnert, was viel zu wenig Aufmerksamkeit erfährt. Die Rede ist von dem Mut und der Kraft derjenigen Palästinenser und Juden, die sich gemeinsam für Versöhnung und friedliche Lösungswege engagieren. Hier zwei Beispiele dafür.
Gemeinsam für Frieden.
Wenige Wochen nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober und dem Beginn des Krieges in Gaza gründeten die Palästinenserin Zeyneb und die Jüdin Kristina in Köln die Initiative „Palestinians and Jews for Peace“. Sie wollen mit ihrem Einsatz und ihren Demos ein Zeichen setzen für gemeinsames Trauern von Juden und Muslimen, von Palästinensern und Israelis, und ihrer Botschaft Gehör verschaffen, dass die Sicherheit von Jüdinnen und Juden und die von Palästinenserinnen und Palästinensern nur gemeinsam erreicht werden kann.
„Hoffnung ist etwas, das wir wählen. Das passiert nicht von alleine, wir müssen uns dafür entscheiden.“
Dass sie 2024 für den Stuttgarter Friedenspreis nominiert wurden, lenkte den Blick auf die Initiative von Rami Elhanan (Israeli) und Bassam Aramin (Palästinenser). Beide Männer haben im Nahostkonflikt ein Kind verloren. Seither leben sie mit ihrer Organisation „Combatants for Peace“ für eine Friedens-Vision.
Es gibt sie also, die Menschen, die bereit sind, sich auch auf das Leid der anderen einzulassen mit dem Ziel Frieden. Dass sich mehr und mehr Menschen für diesen Weg entscheiden, könnte ein Hoffnungsschimmer sein in diesen so hoffnungslos erscheinenden Zeiten. „Hoffnung ist etwas, das wir wählen. Das passiert nicht von alleine, wir müssen uns dafür entscheiden“, sagte der Israeli Rotem Levin von „Combatants for Peace“ im Juli in Stuttgart (Quelle: siehe 12).
Gewaltlosigkeit: „Der einzige Weg, um Gerechtigkeit und Frieden zu erreichen“.
Wenige Tage vor dem jüdischen Tag der Versöhnung erinnert auch die Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger des „Alternativen Nobelpreises“ daran, dass anderes möglich ist als eine schier endlose Spirale der Gewalt. Zu den Ausgewählten gehört der Palästinenser Issa Amro. Er werde, so das Komitee, für seinen „unerschütterlichen und gewaltlosen Widerstand“ gegen die israelische Besetzung von palästinensischen Gebieten und für die „Förderung palästinensischer Bürgerinitiativen mit friedlichen Mitteln“ geehrt (siehe 13). Für Issa Amro ist gewaltloser Widerstand der einzige Weg, um Gerechtigkeit und Frieden zu erreichen.
Quellen:
1 Bericht Ramadan: https://uwg-lkos.de/ramadan-besinnung-und-begegnungen/. Bericht Jüdisches Lichterfest: https://uwg-lkos.de/juedisches-lichterfest-bis-alle-kerzen-brennen/
2 www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/auf-dass-es-jeder-hoert/
3 www.juedische-allgemeine.de/religion/nicht-zu-ueberhoeren/?q=Jom%20Kippur
4 www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=Jom+Kippur+Krieg&si=ACC90nxP_U0D0YLRSjOsz6Or0jkubD0cAUaxHwsAgL0ZV4vfOwynBqWPoxa5u-pJ30mKa5xKw3mI9pu9DC2KXIOmQsZgPLwt57XZwYgudY4Gv-8pOBvGfnU%3D&ictx=1&ved=2ahUKEwiOw9-GkveIAxX-_rsIHZa2AAwQ_coHegQILhAB
5 www.rnd.de/politik/instagram-post-mit-falschem-chatgpt-dialog-verbreitet-fehlinformationen-ueber-israel-ZCUSX3UZF5CT3NDF7HNXZVZVRE.html
6 www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/antisemitismus-2024/549359/der-7-oktober-als-zaesur-fuer-juedische-communities-in-deutschland/
7 www.zeit.de/2024/15/antisemitismus-deutschland-angriffe-juden-oktober-2023
8 www.google.com/search?client=firefox-b-e&sca_esv=d48fcc0fc18d8628&q=Gaza+aktuelle+Bilder&sa=X&ved=2ahUKEwiO2vS4pPSIAxWQ_7sIHQQDATcQ1QJ6BAhDEAE&biw=1301&bih=667&dpr=2
9 www.juedische-allgemeine.de/meinung/bezalel-smotrich-fordert-einen-voelkermord-er-muss-endlich-in-die-schranken-verwiesen-werden/. www.google.com/search?client=firefox-b-e&q=Smoterisch+Entv%C3%B6lherung+Gaza
10 www1.wdr.de/nachrichten/wdrforyou/deutsch/wdrforyou-palestenians-and-jews-for-peace-de-100.html
11 www.die-anstifter.de/veranstaltungen/wieder-in-deutschland-unterwegs-combatants-for-peace/
12 https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/693/liefern-sie-uns-keine-waffen-mehr-9635.html
13 www.nzz.ch/panorama/alternativer-nobelpreis-2024-sie-wurden-bedroht-und-gefoltert-und-machen-trotzdem-weiter-ld.1851295