In der Eingangshalle des Kreishauses Osnabrück ist eine Ausstellung unter dem Titel „Mitgenommen – Aufwachsen zwischen zwei Welten“ zu sehen, bei der lokale Gastarbeitergeschichten im Mittelpunkt stehen. Sie basieren auf dem mittlerweile dritten Buch des Meller Vereins Netzwerk Jugendwerk Buer. Mit „Angekommen – Buer und seine Gastarbeiter“ und „Nachgekommen – Frauen in der Gastarbeitergeschichte“ thematisiert der dritte Band das Erleben der Kinder aus der damaligen Zuwanderungszeit.
Von rund 14 Millionen blieben etwa 3 Millionen Menschen dauerhaft.
Wer waren die Gastarbeiter genannten Menschen, die ihre Heimatländer verließen und die in hohem Maße zum westdeutschen Wirtschaftswunder beigetragen haben? Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien, Jugoslawien: Mit diesen Ländern schloss die Bundesrepublik Deutschland zwischen 1955 und 1973 Verträge zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Es kamen rund 14 Millionen Arbeitsmigranten nach Deutschland, von denen 11 Millionen wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Etwa 3 Mio. Menschen blieben (Quelle: www.bpb.de). Sie blieben in Melle wie auch in vielen anderen Orten im Landkreis.
Kreisrat Matthias Selle bedankte sich anlässlich der Ausstellungseröffnung bei den Projektleiterinnen Annegret Tepe und Ursula Thöle-Ehlhardt: „Nur durch Ihre intensive Arbeit und mit dem Respekt und Vertrauen, welches Sie den Jugendlichen entgegengebracht haben, konnte diese Projektarbeit über viele Jahre realisiert werden.“ Das gesamte Projekt wurde im Wesentlichen von jungen Menschen getragen. Sie haben zahlreiche Interviews mit Betroffenen geführt, Zeitzeugen befragt, thematische Schwerpunkte erarbeitet und den gesellschaftlichen Kontext recherchiert.
Ursula Thöle-Ehlhardt bedankte sich im Kreishaus bei den anwesenden Betroffenen, Zeitzeugen und Familienmitgliedern: „Nur durch das Einbringen Ihrer Erfahrungen und persönlicher Sichtweisen konnten diese Geschichten geschrieben werden.“ Sie hob auch die finanzielle Unterstützung der Sponsoren hervor, ohne die die Durchführung solcher Projekte niemals realisierbar gewesen wäre.
„Die Projekte leben dadurch, dass sie Menschen unterschiedlicher Generationen, unterschiedlicher Kulturen und mit ganz unterschiedlichen Lebenshintergründen in Kontakt bringen, und in dieser gemeinsamen Gesprächskultur die Vielfalt der Gesellschaft nach außen darstellen“, so der Landkreis in seiner Pressemitteilung zur Ausstellung.
Es kamen und kommen Menschen.
Kategorisierende und pauschalisierende Begriffe wie die Gastarbeiter, die Vertriebenen oder die Flüchtlinge lassen leicht das alles Entscheidende vergessen: Es kamen – und kommen – Menschen, Menschen mit ihren ganz eigenen Geschichten. Genau das zeigen die Gastarbeiter-Bücher des Vereins Netzwerk Jugendhaus Buer. Deutschland warb ab 1955 Arbeitskräfte an, aber jede Arbeitskraft ist vor allem erst einmal eines – ein Mensch.
Es kommen Menschen, das zeigte 2017 auch eine beeindruckende Ausstellung in Bersenbrück mit dem Titel „Was man zum Leben braucht“. Am Beispiel der Samtgemeinde Bersenbrück wurde in dieser Ausstellung ein breiter Bogen gespannt. Nach dem Krieg waren es zwischen 1945 und 1948 Vertriebene, die dort eine neue Heimat fanden. In den 1960-er Jahren war z.B. jeder vierte Bersenbrücker Flüchtling oder Kind von Eltern, die fliehen mussten oder vertrieben worden waren. Vor allem zwischen 1955 und 1973 kamen viele Gastarbeiter.
Seit den 1980-er und 1990-er Jahren fanden in der Samtgemeinde Bersenbrück wie auch andernorts viele Russlanddeutsche eine neue Heimat und seit 2015/2016 zahlreiche Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan.
Viel zu lange viel zu wenig gewürdigt.
2022 spannte Bürgermeisterin Jutta Dettmann bei der Präsentation des Meller Gastarbeiter-Projekts den Bogen zu den aktuellen Herausforderungen der Flüchtlingssituation und sagte: „Fehler von damals hängen uns heute noch nach. Ich habe die Hoffnung, dass wir aus den damaligen Fehlern heute lernen. Aber dafür sollten wir uns die Geschichten der zu uns gekommenen Menschen anschauen – und das macht ihr hier mit euren Büchern. Damit zeigt ihr uns, worüber wir auch heute wieder nachdenken müssen.“ Zu dem Vielen, worüber nachgedacht werden muss, gehören auch die Themen Diskriminierung, Hetze und Hass.
Diskriminierung, Ausgrenzung, Hetze, gar Hass schlug seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vielen Menschen entgegen, die nach Deutschland kamen. Flüchtlingen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern und dem Sudetenland ebenso wie Heimatvertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, Gastarbeitern, Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion, Kriegs- und Krisen-Flüchtlingen, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen. Zurückblickend auf die letzten Jahrzehnte ist festzustellen: Gefehlt hat es vor allem an Wertschätzung. Bis heute werden die Leistungen vieler, die in Deutschland eine neue Heimat fanden, darunter auch die der Gastarbeiter, viel zu wenig gewürdigt.
Starker Anstieg der Diskriminierung. Aber auch eine gute Nachricht.
Diskriminierung gehört vor allem für viele Menschen mit Migrationshintergrund zum Alltag. Laut einer im April diesen Jahres veröffentlichten Bertelsmann-Studie äußerten von den Befragten mit Migrationshintergrund 35 %, in den vergangenen zwölf Monaten sehr oft oder manchmal Diskriminierung wegen der Herkunft oder aus rassistischen Gründen erlebt zu haben. 28 % geben an, von Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung betroffen gewesen zu sein“. Der Vergleich mit einer entsprechenden Studie aus dem Jahr 2008 zeigt, dass Diskriminierung stark zugenommen hat. Die gute Nachricht ist, dass auch das Bewusstsein in der Gesellschaft für Diskriminierung in Deutschland gestiegen ist.
Mit gutem Beispiel vorangehen.
77 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung gaben bei der Bertelsmann-Befragung an, sich sehr oder etwas für das Thema Gleichbehandlung zu interessieren. 2008 waren es nur 63 %. 88 % halten das Vorgehen gegen Diskriminierung für eine wichtige politische Aufgabe. 87 % sehen Aufklärungsarbeit in Kindergärten und Schulen als wichtige Aufgabe des Staats zur Bekämpfung von Diskriminierung. Und was jeden einzelnen Bürger und jede Bürgerin angeht: Mit gutem Beispiel vorangehen, einen respektvollen Umgang miteinander vorleben und leben, ist ein so wirksamer wie einfacher Weg zu einem gedeihlichen Miteinander.