Der Livestream Melle wurde abgesagt, aber auch der Livestream der Kreistagssitzungen ist nur noch bis Ende diesen Jahres gesichert. Wird es ihn weiterhin geben? Das ist die – noch offene – Frage. Wenn es um Livestreams geht, wird so mancher Kommunalpolitiker sehr öffentlichkeitsscheu. Wie zäh das Ringen um Livestreams war und ist, dazu hier die UWG’ler Detert Brummer-Bange sowie Matthias Pietsch und Falk Landmeyer.

„Öffentlichkeitsscheue Kommunalpolitiker, die kann es eigentlich gar nicht geben“, so Detert-Brummer-Bange. „Das zeigt sich vor allem in Wahlkampfzeiten, wo kaum jemand an den Werbematerialien mit den Kandidaten-Gesichtern vorbeikommt sowie an Kandidaten-Ständen vor Lebensmittelmärkten und andernorts. Über Social-Media-Kanäle wie Facebook & Co präsentieren sich Parteien und Gruppierungen wie auch ein Großteil der politisch Aktiven, zu denen auch ich gehöre, zudem immer wieder mit Worten und Fotos den Bürgerinnen und Bürgern.“

„Bei den Debatten über Livestreams, das zeigte die Kreistagsdebatte und das zeigt aktuell die Debatte in Melle, dann ein anderes Bild: Dass Bürgerinnen und Bürger eine Sitzung nicht nur vor Ort erleben, sondern auch von zu Hause aus verfolgen können, ist so manchem ein Dorn im Auge. Dass auch Kreistagsmitglieder, die bereits über viele Jahre in mehreren Funktionen in der Öffentlichkeit stehen, beim Livestream nicht gesehen und gehört werden wollen, zeigte erstmalig die Kreistagssitzung am 26. Juni, als sich der CDU-Redner Andreas Quebbemann ausblenden ließ.“

„Vorbehalte und Verweigerung sind nicht nur bei der CDU zu verorten“.
„Es war natürlich das gute Recht meines Kollegen“, unterstreicht Matthias Pietsch, „der Übertragung seines Redebeitrags zu widersprechen, aber wie Bürgerinnen und Bürgern vermitteln, dass die vor Ort Anwesenden den Redner sehen und hören dürfen, nicht aber die Livestream-Zuschauenden? Vorbehalte und Verweigerung in Sachen Livestream sind im Landkreis aber nicht allein bei der CDU zu verorten.“

Matthias Pietsch: „Bei uns im Stadtrat Melle stimmten, angeführt vom Fraktionsversitzenden Alfred Reehuis, von den sieben Mitgliedern der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sechs gegen die Einführung eines von uns als UWG beantragten Livestreams. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen trug vor allem Aspekte vor, die von Übertreibungen geprägt waren. So sprach er, was die Kosten angeht, von 50.000 €. Dagegen steht, dass die bei den Sitzungen des Kreistages genutzte mobile Lösung ca. 3.000 € gekostet hat.“ Und die Personalkosten? „Da habe ich vorgeschlagen“, so Falk Landmeyer, „dass ein Mitarbeiter, der sowieso für die Technik während der Stadtratssitzung zuständig ist, diese Aufgabe mit übernehmen könnte. Beschworen wurde zudem die Gefahr einer erheblichen Verlängerung der Sitzungsdauer‘, weil die Redner ein paar Schritte zum Rednerpult gehen müssen. Der Rat der Stadt Melle entschied sich jedoch für einen Livestream. Hinter den Kulissen ging die Gegenwehr jedoch weiter.“

Wie verträgt sich das: Facebook & Co nutzen, aber einen Livestream ablehnen, weil Daten auf amerikanischen Servern laden könnten?
„In Melle sollte die Livestream-Premiere am 5. Juli stattfinden, aber daraus wurde nichts“, so Matthias Pietsch. „2 Tage vor der Stadtratssitzung erreichte uns die Nachricht, dass der Livestream gecancelt wurde – weil, so die Verwaltung, aus den Reihen der Ratsmitglieder Bedenken hinsichtlich der datenschutzrelevanten Belange des Übertragungsweges, insbesondere der Plattform YouTube, geäußert wurden. Bei Nutzung von Youtube könnte der Livestream auf amerikanischen Servern landen.“

Falk Landmeyer: „Dazu gab es in Melle einen Facebook-Kommentar der da lautete: ,Die Sitzung des Meller Stadtrates ist keine Sitzung des UN-Sicherheitsrates. Hier wird zu Lasten der Bürger maßlos übertrieben‘. Auch wir sind der Meinung: Datenschutz ist gut und richtig, aber manchmal sollte man die Kirche im Dorf lassen, vor allem, wenn die Ratsmitglieder selbst Facebook und Co. nutzen und das vollkommen OK für sie ist.“

Ein hohes demokratisches Gut: Die Öffentlichkeit der Sitzungen.
„Im Laufe der Debatte über die Livestream-Modalitäten sagte Johannes Koop (CDU) einmal, niemand solle sich durch eine Übertragung in seinen Äußerungen und seinem Verhalten beeinträchtigt fühlen“, so Detert Brummer-Bange. „Bei allem Respekt vor der persönlichen Befindlichkeit von uns Kreistagsmitgliedern: Es geht aus meiner Sicht um bedeutend Schwerwiegenderes. Wir sind als Mitglieder kommunaler Gremien in allererster Linie den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Das ist nicht meine persönliche Meinung, sondern festgeschrieben.“

„In unserer Demokratie ist Politik auf allen Ebenen, vom kleinsten Gemeinderat bis zum großen Bundestag, eine öffentliche Angelegenheit. Und so heißt es auch im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (§ 64): Die Sitzungen der Vertretung sind öffentlich. Davon darf nur bei sehr wenigen Sachverhalten abgewichen werden. Und das heißt: Wir sind auch auf kommunaler Ebene dazu verpflichtet, Diskussions- und Abstimmungsprozesse transparent zu gestalten. Wie gehen wir mit dieser Verpflichtung um in Zeiten, in denen Livestreams möglich und in vielen Kommunen auch schon seit Jahren Realität sind? Wir als UWG haben da einen klaren Standpunkt.“

Livestreams: Ein Gewinn in Sachen Bürgernähe, Bürgerbeteiligung, Transparenz und Barrierefreiheit.
„An einer Ratssitzung teilzunehmen, ohne vor Ort sein zu müssen, das ist unseres Erachtens“, so Matthias Pietsch, „nicht weniger als die moderne Variante des Gebots, dass Politik in der Demokratie eine öffentliche Angelegenheit ist. Und wir sind auch gehalten – Stichwort Barrierefreiheit – allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Ratssitzungen zu ermöglichen. Per Livestream können z. B. auch Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, das politische Geschehen verfolgen. Der Livestream ist aus unserer Sicht ein großer Gewinn in Sachen Bürgernähe, Bürgerbeteiligung, Transparenz und Barrierefreiheit.“

In Sachen Livestream geht unser UWG-Engagement weiter.
Matthias Pietsch: „Livestream Ja oder Nein, diese Frage wird im Kreistag schon bald wieder auf die Tagesordnung kommen. Nach der bisherigen Beschlusslage wäre nach den beiden noch anstehenden Kreistagssitzungen im Oktober und im Dezember Schluss – wenn denn kein neuer Livestream-Beschluss gefasst wird. Wie wird der aussehen und wird es bei den einschränkenden Bedingungen bleiben?
Zu einer der Livestream-Übertragungen wurde uns an Zahlen genannt, dass es 457 Zugriffe von unterschiedlichen IP-Adressen gab und dass über 70 Bürgerinnen und Bürgergleichzeitig den Livestream der Sitzung verfolgten. Das ist aus unserer Sicht ein Gewinn für die Demokratie – aber der könnte noch deutlich größer sein, wenn die Einschränkung entfallen würde, dass der Livestream nur während der laufenden Sitzung zur Verfügung steht. Wer hat schon werktags ab 15 Uhr Zeit?“

Matthias Pietsch: „Wer sich andere Livestreams anschaut wie z.B. Livestreams des Kreistags Groß-Gerau, stellt fest, dass ein Livestream auch sehr viel offener ausgestaltet sein kann als hier bei uns, wo die Kamera immer nur auf den jeweils Redenden gerichtet ist. Würden wir uns weniger abschotten, hätte das sicher einen positiven Effekt auf die Anzahl der Livestream-Zuschauenden. Wir als UWG werden uns weiterhin engagieren. Dafür, dass der Kreistags-Livestream zur Selbstverständlichkeit wird – was wir auch in Melle zu erreichen hoffen – dafür, dass Livestreams auch nach den Sitzungen noch zur Verfügung stehen und dafür, dass der Kreistag sich öffnet für eine Abkehr von der starren Kameraposition“.